Ich sage gerne und meine es auch so, dass das Riemann-Thomann-Modell in wenigen Minuten erklärt und verstanden ist. Dass es nicht viel braucht, um beim Gegenüber eine hilfreiche Erkenntnis zu wecken. Streng genommen ist das nur die halbe Wahrheit, denn man könnte sagen, es gibt zwei Schwierigkeitsgrade bei der Arbeit mit dem Riemann-Modell.
Hängen wir mit drin oder nicht? Diese Frage macht den großen Unterschied.
Schwierigkeitsgrad eins – das Riemann-Modell für andere
Ob es nun die Nachbarin, der Kumpel oder ein Arbeitskontext ist, wir stehen draußen, schauen drauf und haben damit den alles entscheidenden Abstand, der das Modell so wunderbar einfach macht.
Wir sehen Verhalten A, die Reaktion B, beobachten das Gesamtbild C und schon ist uns alles klar. Jetzt können wir mit wenigen Worten das beobachtete Szenario anhand des Riemann-Modells erklären und schon haben wir eine neue Basis den ganzen Schlamassel zu bereinigen.
Alles ist anders, sobald wir selbst A oder B sind.
Schwierigkeitsgrad zwei – wir selbst
In meinen Seminaren zum Riemann-Thomann-Modell läuft es immer gleich. Anfangs sind alle voll präsent, neugierig und wissensdurstig. Dann verklärt sich bei einigen langsam der Blick, die Aufmerksamkeit geht nach innen und schon läuft da ein ganz anderer Film.
Plötzlich geht es nicht mehr um die Sache, sondern um die eigenen Muster und zwischenmenschlichen Themen. Werden dann die einfachen Fälle genommen? Natürlich nicht, die dicken Brummerthemen stehen vorne an und wollen, da wir ja gerade dabei sind, mal eben schnell eine Lösung.
Das ist auch völlig normal und um mit Riemann wirklich gut arbeiten zu können braucht es diesen Selbstreflexionsprozess unbedingt. Schließlich müssen wir wissen, durch welche Brille wir schauen und damit alles was wir wahrnehmen gemäß dieser Brille einfärben. Eine Unabhängigkeit/Distanz wird eine Situation anders wahrnehmen als eine Verbundenheit/Nähe.
Mit den alltäglichen zwischenmenschlichen Themen wird es uns auch bei uns selbst gut gelingen. Wollen wir aber die richtig fetten Brummer angehen, dann läuft es ein bisschen anders. Schwierigkeitsgrad zwei eben. 😉
Im Zuge der eigenen Betroffenheit
Es ist natürlich megacool und hilfreich noch dazu, wenn wir nicht nur andere mit dem Riemann-Modell unterstützen können, sondern auch für uns selbst Klarheit in den zwischenmenschlichen Dingen gewinnen. Ganz klar. Schauen wir uns den Prozess mal genauer an.
Was meist geschieht:
Das Verhalten unseres Gegenübers B wird analysiert, in Riemann eingeordnet und ehe wir uns versehen, ist es auch schon bewertet.
Das ist nicht so schön und noch weniger hilfreich, aber einigermaßen normal, wenn wir selbst in eine Sache verstrickt sind. Je mehr Aktien wir im Thema haben, um so schwieriger wird es, den Prozess alleine zu klären. Wir sind einfach nicht objektiv und sehen somit nicht unseren eigenen Anteil an der Situation. Unsere blinden Flecken lassen schön grüßen.
Was also tun?
Verhalten von B beobachten und in Riemann einordnen, ist ok und ein guter Anfang. Das mit dem Bewerten würde ich weglassen, denn das könnte wie ein Bumerang auf dich zurückfallen. Wäre auch blöd.
Situation C von B checken und einordnen. Wie sind die aktuellen Umstände, unter denen das Verhalten an den Tag gelegt wird. „Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist“, weiß schon die Werbung und wie sich Krisenumständen auswirken, davon wollen wir gar nicht erst anfangen.
Kommen wir zur wichtigsten Position im ganzen Spiel – A. Also du selbst.
Ab jetzt wird es komplex und vielleicht auch etwas unbequem denn ohne radikale Ehrlichkeit uns selbst gegenüber, können wir es gleich lassen. Die aber, wird belohnt!
Wie bist du nach Riemann normalerweise gestrickt? Wie verhältst du dich in der betreffenden Situation? Was etwas ganz anderes sein kann, denn auch du hast deine eigenen Umstände C im Spiel. So weit so gut, das bekommst du hin, wenn du etwas routiniert im Umgang mit Riemann und ehrlich zu dir selbst bist. Und wenn du ein kleines Alltagsthema gewählt hast, hast du jetzt bestimmt auch das erlösende Aha-Erlebnis.
Hast du eines der fetten Themen gewählt, wartet hier die Hintertür auf dich und durch die gehen wir in der Regel nicht allein. Wie schon gesagt, es ist beinahe unmöglich, uns selbst mit so viel Abstand zu betrachten, dass wir unsere blinden Flecken einigermaßen minimiert haben. Aber sagen wir mal, du bist darin geübt und kannst dein Gegenüber, die Umstände und dich gut einschätzen.
Das Riemann-Modell ist nur die Einladung neu zu denken
So leid es mir auch tut, das Riemann-Modell ist nicht die Lösung! Es ist nur ein Modell, um die Wundertüte Mensch etwas verständlicher und begreifbarer zu machen.
Wechseln wir nochmal auf den leichteren Level, wir als Außenstehende und Beobachter.
Wir haben A, B und C gesehen, analysiert und haben anhand der einzelnen Riemann-Positionen eine Idee. Das bringt uns noch nicht weiter, viel mehr beginnt die Arbeit erst jetzt.
A muss die Lage von B sehen, verstehen und als gegeben akzeptieren (nicht zwingend gut heißen!) und natürlich umgekehrt. Eine gute Lösung muss dann auch noch her.
Dabei können wir unterstützen und so den Nebel der zwischenmenschlichen Verstrickungen lichten. Das Wunder geschieht also im Prozess danach. Riemann hat uns „nur“ dabei geholfen Andersartigkeit zu verstehen und eine neue Basis zur Klärung geschenkt.
Zurück zu uns – zum Profilevel
Geht es um uns, haben wir diesen zweiten Schritt natürlich auch an der Backe.
Wir können mit Übung noch gut erkennen: Ah, ich hab mal wieder meinen Distanz-Hut aufgehabt. Kein Wunder, dass mein Gegenüber so sparsam guckt.
Wollen wir das Thema aber lösen, müssen wir auf die Themen hinter unserem Verhalten schauen. Was war der Antrieb?
Weil wir einfach so sind und damit gar nicht auf die Idee kommen, anders zu reagieren. Was die einfachste und schönste Thematik wäre. Da lösen sich Reibungen meist durch ein „Ach so. So hab ich das nie betrachtet. Jetzt verstehe ich dich erst.“. Man lächelt, drückt sich und die Welt ist wieder in Ordnung. Vorausgesetzt, man spricht drüber.
Sehr viel häufiger sind es aber die antrainierten Muster, die uns in den Beziehungsschlamassel reiten. Da geht es um unerfüllte Bedürfnisse und um rote Knöpfe die gedrückt werden. Noch viel häufiger darum, dass wir nicht kommunizieren, was wir brauchen, uns wünschen, was wir denken und fühlen. Klar, mit Riemann bekommen wir auch eine Idee davon, welche wunden Punkte da vermutlich aktiv sind. Aber hey, wer drückt bei sich selbst schon gerne auf die Schmerzpunkte?
All das brauchen wir natürlich auch, wenn wir uns zum Beispiel im Coaching tiefer auf den Prozess und auf die Brummerthemen einlassen wollen. Nur kommen wir eine ganze Weile auch ohne diese Tiefen weiter und vor allem lassen sich die Themen dahinter von außen sehr viel leichter ansprechen als bei uns selbst.
Die zwei Schwierigkeitsgrade bei der Arbeit mit dem Riemann-Modell
Ich bleibe daher dabei, das Riemann-Modell ist schnell und einfach zu verstehen und anzuwenden. Nur braucht jede Situation die ihr angemessene Tiefe und Aufmerksamkeit.
Eine Brezel auf die Hand können wir auf dem Weg von A nach B schnell verdrücken. Ein leckeres Fünf-Gänge-Menü braucht mehr Zeit zum Genießen und Verdauen. Das würde uns ganz furchtbar auf den Magen schlagen, wenn wir uns das mal eben zwischen Tür und Angel reinpfeifen. *
* Ich wollte mal nicht meine sonst so gern genommene Autometapher nehmen. 😉
Wenn du deine Denk- und Verhaltensmuster durchschauen und dein tägliches Miteinander verbessern und vereinfachen möchtest, dann sei beim brandneuen ICHgerecht Kompass 2.0 dabei. Natürlich öffnen wir auch die Hintertür denn dort schlummert ja die Lösung.
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