Das Thema Narzissmus scheint inzwischen wohl ein echter Trend zu sein. Es begnügt sich längst nicht mehr mit Zeitschriften, Büchern, Filmen etc., nein es erscheint auch zuverlässig in meinen Seminaren zum Riemann-Thomann-Modell. Irgendwann steht die Frage, in welcher Ecke die Narzissten zu finden sind, im Raum und meist lässt man mich auch nicht vom Haken bis wir das Thema auseinander getüftelt haben. Lasse ich mich breitschlagen, diesen kleinen Exkurs zu starten, dann sind Erstaunen und Überraschung meist groß, denn bei den „Tollen“, werden sie seltener vermutet. Grund genug, den Narzissten heute mal das zu geben, was sie sich am meisten wünschen: Aufmerksamkeit. Wo finden wir Narzissmus im Riemann-Thomann-Modell? Finden wir ihn dort überhaupt?
Wer sich narzisstisch verhält, ist nicht gleich ein Narzisst.
Ich finde die großzügige Vergabe der Auszeichnung Narzisst:in die derzeit vergebenen wird sehr schwierig. Ruckzuck ist jeder mit einem ausgeprägten Ego mit mindestens einem Bein schon in der Schublade für Narzissten, in der längst dichtes Gedränge herrscht. Nun kann man einerseits nicht früh genug warnen aber die fehlende Unterscheidung zwischen narzisstischen Charaktereigenschaften und einem Narzissten verwässert das Gesamtbild und das macht das Erkennen, wann Gefahr im Verzug ist, nicht einfacher.
Ohne meinen Exkurs hier ausufern zu lassen, möchte ich kurz aufzeigen, dass das, was über den großen Kamm geschert wird, ein himmelweiter Unterschied ist. Wenn wir das klar haben, dann können wir auch eine Zuordnung im Riemann-Thomann-Modell vornehmen.
Nehmen wir eine Skala mit fließenden Übergängen aber zwei klar erkennbaren Punkten. An einem Ende haben wir narzisstische Charaktereigenschaften und am anderen Ende zusätzlich die böswillige Manipulation.
Narzisstische Charaktereigenschaften finden wir bei den Menschen, die sich für den Nabel der Welt halten. Sie sind die Klügsten, Besten und einzig Wahren. Niemand sonst weiß Bescheid und egal, was es zu holen gibt, sie immer zuerst. Dass, um ganz vorne mit dabei zu sein, die Ellenbogen eingesetzt werden, versteht sich von selbst. Irgendwie muss schließlich bewiesen werden, dass sich die Erde eigentlich um unseren narzisstischen Freund dreht und gar nicht um die Sonne. Wenn das alle verstehen, dann ist alles fein.
Dieses Verhalten ist anstrengend und nervig, gar keine Frage! Hier bekommen wir, wenn wir im Weg stehen, sicher auch schon mal einen blauen Fleck und die Laune ist in dieser Gesellschaft auch nicht die Beste aber, und das ist entscheidend, wir sind nicht ernsthaft in Gefahr.
Nun können wir diese zweifelsfrei narzisstischen Verhaltensweisen schon mit dem Etikett „Narzisst“ versehen aber wie nennen wir dann die, die noch eins drauf legen? Die, die man wirklich mit Vorsicht genießen muss?
Wenn die Manipulation hinzukommt
Problematisch wird es, wenn die Ellenbogen nicht mehr ausreichen und zu den oben beschriebenen Eigenschaften die (bewusste)* Manipulation hinzukommt. Ab diesem Punkt wird es schwierig und wir sind gut bedient, wenn wir aufmerksam beobachten wo uns hier scheinbar unbeabsichtigt und nebenbei emotionale/seelische blaue Flecken zugefügt werden.
Hier verlassen wir den Bereich von „nervig und anstrengend“ hier gilt es die Antennen auszufahren, die eigenen Grenzen zu schützen und schonmal das „Nein“ und ein souveränes „Verpiss dich“ (sorry, das ist schon die höfliche Version) vor dem Spiegel zu üben.
Meine eigene Erfahrung mit diesen durchaus spannenden Zeitgenossen hat mich gelehrt, dass mit Betreten des manipulativen Bereiches die Skala fließend bis zum tiefroten Bereich reicht. Da geht vom subtilen aufspüren, der Schwachpunkte des anderen bis hin zum bewussten Setzen von erst kleinen, später größeren Spitzen, an denen man ganz nebenbei mal kurz aus der Spur gebracht wird. Während man selbst noch verwirrt guckt, versucht zu erfassen, was denn das gerade war, plant unser Narzisst den nächsten Schachzug. Und damit bewegen wir uns noch im sehr harmlosen Bereich.
Nimm deine Wahrnehmung ernst
Wenn dir das auch nur im entferntesten bekannt vorkommt. Nimm es ernst. Du kannst lange nach konkret fassbaren Belegen und Beweisen suchen, du wirst sie nicht finden. Das ist die Kunst der Manipulation, sie ist nicht zu fassen. Hör auf dein Bauchgefühl, zieh deine Grenzen, wenn etwas für dich nicht geht. Dazu brauchen wir nicht erst irgendein Etikett und am Ende gibt es viele Namen für unschönes Verhalten. Eines bleibt aber immer gleich und ist auch die einzige Chance – Grenzen setzen!
Ab jetzt komme ich zurück zu „normalen“ narzisstischen Charaktereigenschaften die wir vermutlich alle aus unserem Alltag kennen. Gönnen wir den mehr ausgeprägten Graden das, was sie sich so sehnlich wünschen – die Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer Einzigartigkeit und speisen sie nicht mit einem so „gewöhnlichen“ Persönlichkeitsmodell wie dem Riemann-Modell ab. Reden wir darüber, ob wir Narzissmus im Riemann-Thomann-Modell finden können.
Der Narzissmus im Riemann-Thomann-Modell
In aller Kürze: Im Riemann-Modell gibt es keinen Narzissten!
Auch, wenn Fritz Riemann in seinem Werk „Grundformen der Angst“ vom Krankheitsbild her kommt, so beschreibt er dennoch nicht den Narzissten. Aus meiner Sicht ist die Geschichte und vor allem der Ausdruck dieses Menschentyps so individuell, dass er noch sehr viel weniger als Menschen überhaupt, einer Seite zugeordnet werden kann.
Neben der Neigung zu bestimmten Charaktereigenschaften spielt die manipulative Seite eine so große Rolle, dass sie sich damit selbst aus dem Gedanken der vier Grundstrebungen hinaus katapultieren. Es bräuchte also einen fünften Typen und das wird den Bedürfnissen unserer narzisstischen Freunde immerhin gerecht – die Extrawurst.
Da wir das fiese, das Manipulative nun aber außen vor lassen, uns nur die harmlosen Charaktereigenschaften ansehen, wagen wir es und ordnen unsere Freunde mal im Riemann-Modell ein.
Narzisstisches Verhalten im Fokus des Riemann-Modells
Erinnern wir uns, was zu narzisstischen Charaktereigenschaften gehört.
- Sich selbst großartig finden und…
- Immer nur um sich selbst kreisen – in Wort und Tat.
- Unstillbarer Hunger nach Anerkennung und Aufmerksamkeit.
- Drang nach Erfolg und Status. Ruhm wird auch gerne genommen.
- Im Rampenlicht und Aufmerksamkeit der Welt (auch in der kleinen Welt aus Familie und Freunden) stehen.
- Kein echtes Interesse an anderen, noch weniger an ihren Bedürfnissen.
- Andere sind wichtig, unbedingt, denn jubelndes Publikum ist das Hauptnahrungsmittel unseres Freundes. Ohne die geht es nicht!
Wenn wir uns all diese Eigenschaften ansehen, dann landen wir zweifelsfrei bei der hysterischen Persönlichkeit im Riemann-Modell. Beim Wechsel im Riemann-Thomann-Modell und in meiner Version bei der Wandlung.
Um es etwas greifbarer zu gestalten, sagen wir, ein sehr ausgeprägter Wechsel/Wandlung liegt auf der Skala von 0 bis 10 auf einer 9/10, die ausgeprägten narzisstischen Charaktereigenschaften beginnen ab 12 aufwärts.
Das gilt für den„handelsüblichen“ Narzissten und den grandiosen Narzissmus. Da wäre dann ja noch der verdeckte Narzisst. Die, die sich gar nicht als so großartig darstellen, eher durch Tiefstapelei glänzen wollen, am Ende aber das gleiche Ziel verfolgen. Die finden wir dann weniger auf der Seite des Wechsels/Wandlung, sondern auf der Seite der Nähe/Verbundenheit.
Und hier werden die Augen meist etwas größer denn beim meist wenig geliebten Distanz/Unabhängigkeits-Mensch kann man sich das gut vorstellen aber doch nicht bei unseren zwei Zuckerschnuten. 😱 Ich pflege zu sagen, alle vier haben ihre ganz eigene Art ihrer arschigen Seite Ausdruck zu verleihen.
Genug Futter für das Ego unserer Freunde, lass uns wenigstens noch kurz schauen, welche Typen nach Riemann besonders in Gefahr geraten können. Denn auch narzisstische Spiele brauchen immer zwei und das ist zumindest theoretisch ein wunderbarer Hebel sie ins Leere laufen zu lassen.
Die vier Typen im Umgang mit Narzissten
Distanz/Unabhängigkeit
Unsere Freunde der Distanz lassen sich wenig beeindrucken vom Getue unseres Narzissten und wenn es sie nervt, dann gehen sie einfach. Überwiegen also unsere Distanzanteile, dann gehören wir eher weniger zum Beuteschema. Wir sind dabei nicht nur gänzlich uninteressant für Narzissten, wir können ihnen auch gefährlich werden denn, wir besitzen doch glatt die Frechheit, das ganze Getue zu durchschauen, beim Namen zu nennen und so für andere sichtbar zu machen. Die Distanz/Unabhängigkeit sollte also eher vermieden werden, wenn wir unsere narzisstischen Anteile ausleben wollen.
Dauer/Beständigkeit
Auch unsere Freunde der Dauer dürften einigermaßen sicher sein. Natürlich sind sie furchtbar genervt, vom Zirkus der da veranstaltet wird aber sie sind für unsere narzisstischen Freunde wenig interessant. Das Motto „nicht gemeckert ist genug gelobt“ reicht einem Narzissten einfach nicht und Lobeshymnen und Bewunderung sind bei einer ausgeprägten Dauer einfach nicht zu holen. Das macht dem Narzissten keinen Spaß, da ziehen sie lieber weiter.
Nähe/Verbundenheit
Sind unsere Nähe/Verbundenheitsanteile ausgeprägter, dann sollten wir gut auf uns acht geben, denn wir sind die Auserwählten. Die Bereitschaft, zuzuhören, Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung zu schenken ist hier einfach am höchsten und das ist genau das Futter, was Narzissten nährt. Und wer gerne jederzeit mit allem verbunden ist, der kann dem „Charme“ – den muss man ihnen zweifelsfrei zugestehen – schnell auf den Leim gehen.
Konkretere Tipps zum Umgang dann in einem anderen Beitrag, das würde hier den Rahmen sprengen. Eines sei aber unbedingt jetzt schon gesagt…
Ob es nun Narzissmus im Riemann-Thomann-Modell gibt oder nicht…
Wir brauchen kein Etikett um Grenzen zu ziehen
Einen Vorteil scheint die großzügige Narzisst-Etikettenvergabe zu haben. Mir kommt es so vor, als fiele es leichter, sich abzugrenzen wenn wir einen „ausgewiesenen bösen Menschen“ vor uns haben. Als wäre es so leichter „Nein“ zu sagen und sich aus dem Kontakt zurückzuziehen.
Das narzisstische Spiel ist ausgeklügelt, gut und schwer zu durchschauen. Was hab ich ihnen auf die Finger geschaut, genau beobachtet, was sagen sie wann und wie. Wie genau gelingt es ihnen, dass ich an einer ihrer Spitzen hängen bleibe? Keine Chance! Erst im Rückblick, nach vielen Überlegungen und immer wenn es zu spät ist, bekam ich es halbwegs zu fassen.
Ein Signal war aber immer da, und zwar sofort. Mein innerer roter Alarm. Die Intuition hat schnell gemeldet, da stimmt was nicht. Von daher such nicht erst ein Etikett, zieh gleich deine Grenzen. Analysieren, verstehen und Verständnis haben kannst du später immer noch. Ist der narzisstische Mensch aber erstmal über deine Grenzen rübergebügelt, wird es immer schwieriger, sich dem zu entziehen.
*Ach ja, und vergiss Gedanken wie „Das ist doch keine Absicht“, „Die/Der macht das doch nicht extra“, selbst wenn es so wäre, es entschuldigt nichts!
Die Nähe/Verbundenheit ist wie gesagt besonders gefährdet, diesen unangenehmen Zeitgenoss:innen auf dem Leim zu gehen. Muss man sich damit abfinden? Auf keinen Fall!
Finde deine Muster, die Punkte, an denen man dich kriegen kann und lerne, diese Hintertüren zu schließen. Dann kannst du ihnen künftig sehr viel gelassener begegnen, deine Grenzen ziehen und gut für dich sorgen. Empathie, Zuwendung, Emotionalität sind ganz wunderbar und sollten auf keinen Fall von narzisstischen Vollpfosten als Mittel gegen uns verwendet werden können.
Was sind deine Trigger?
Worauf springst du an?
Wann sagst du „Ja“, wo du „Nein“ meinst?
Womit kann man dich kriegen?
Selbstbewusstsein stärken
Wenn du dich auf diese spannende Reise nicht alleine begeben willst, sei beim ICHgerecht Kompass 2.0 dabei. Du lernst die vier Typen im Alltag kennen, vor allem aber dein ganz persönliches Muster mit allem, was dazu gehört. Die Stärken, aber auch die Stolpersteine, die dir das Leben schwer machen können. Wir entdecken das Muster dahinter, finden raus wie du es selbst nähren kannst und so nicht immer wieder in dieselben Alltagsfallen tappen musst. Gemeinsam begeben wir uns im Oktober auf einen spannende Reise zu dir selbst.
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